Caritas taucht in die Kommunen ein
Fazit aus Projekten in Emskirchen, Gremsdorf, Hersbruck, Neunkirchen am Brand und Redwitz vorgestellt
Ein Mensch ändert sein Verhalten nur, wenn er dies für sich als sinnvoll und hilfreich erfährt. Die Adressaten sozialer Hilfe müssen daher die Veränderung ihrer Situation selbst bewirken und gestalten. Daher können die Mitarbeiter eines Wohlfahrtsverbandes einen gelingenden Alltag nur verwirklichen, wenn sie vor Ort mit den Betroffenen auf Augenhöhe zusammenarbeiten. So könnte man das Konzept „Sozialraumorientierung“ mit einfachen Worten umschreiben.
Prof. Dr. Stefan Bestmann aus Berlin tat dies bei seiner Auswertung des Projektes „Caritas als Kirche im Lebensraum der Menschen“, das der Diözesan-Caritasverband seit 2012 im Erzbistum an fünf Standorten durchführte.
In Emskirchen wurde ein seniorenpolitisches Gesamtkonzept für die Gemeinde entwickelt. Der Caritasverband Neustadt/Aisch wirkte dabei mit der Kommune, dem Seniorenrat und der katholischen Pfarrei zusammen. Durch das Projekt entstand der Aurachtreff, ein Haus mit Tagespflege, Nachbarschaftscafé, Mittagstisch und Bürgerbus. Neue Wohn- und Versorgungsformen für Senioren sollen zusätzlich noch entstehen.
Die Barmherzigen Brüder in Gremsdorf wollten es Menschen mit Behinderung, die bisher in Wohnheimen des Ordens untergebracht waren, leichter machen, in eigene Wohnungen umzuziehen. Indem ein verstärkter Kontakt zur Nachbarschaft entstand, können die Menschen mit Behinderung selbständig im betreuten Wohnen leben und haben mehr als bisher am gesellschaftlichen Leben in der Gemeinde teil.
Die Versorgung vor allem für Menschen mit seelischer Erkrankung wurde in Hersbruck weiterentwickelt. Daraus ist nun ein Vorhaben „inklusive Kommune“ geworden. Michael Groß, Geschäftsführer der Caritas Nürnberger Land, äußerte sich hocherfreut, wieviel Projektpartner sich daran beteiligen wollen, unter ihnen auch die Polizei und die Industrie- und Handelskammer. „Wir haben Glaubwürdigkeit und Anschlussfähigkeit gewonnen“, sagte Groß.
Ein Mehrgenerationenwohnen zu errichten, war zunächst das Ziel in Neunkirchen am Brand. Im Lauf des Projekts verschafften sich die Interessen der Betroffenen stärker Geltung. Entstanden ist nun ein offener selbstorganisierter Seniorentreff.
In Redwitz konnten sich Menschen mit Behinderung, die in der „Alten Schule“ wohnen, in die Ortsgemeinschaft integrieren – dank des intensiven Kontakts der Regens Wagner Stiftung zu Gemeindeverwaltung und katholischer Pfarrei. Die Bewohnerinnen und Bewohner der alten Schule sind im Ort bekannt, fühlen sich zugehörig und haben ihre Lieblingsorte und Ansprechpartner in Redwitz gefunden. „Barrierefreiheit“ ist ein Thema in ganz Redwitz geworden.
34 ausführliche Interviews mit 45 Personen aus allen diesen fünf Standorten hatte Prof. Bestmann ausgewertet. Sein Fazit: Die sozialräumlichen Projekte wirken als Motor öffentlicher Diskussion, indem sie Themen der Menschen auf die Tagesordnung setzen (etwa Barrierefreiheit oder Älterwerden in der Kommune). Sie bewirken, dass Akteure koordiniert (und nicht rein zufällig) zusammenarbeiten. Und sie lösen Engagement aus. Beispiel: Ein schon fast „eingeschlafenes“ Sportangebot erhielt neuen Schwung, weil Menschen mit Behinderung teilnehmen wollten. Da die Leistung dann nicht im Vordergrund stehen kann, ermutigte das auch andere Bürger, aus Freude an der Bewegung wieder mitzumachen.
Was sich bei der Entwicklung des Projekts als Herausforderung darstellte, relativierte sich dagegen in den Interviews. Bestmann: „Außenstehende finden es offensichtlich, dass Caritas und Pastoral gemeinsam auftreten.“ Weihbischof Herwig Gössl formulierte es so: „Caritas ist Kirche – auch wenn kein Volltheologe anwesend ist.“ Er warnte zugleich davor, „in die Professionalisierungs-Falle zu tappen:“ Es brauche eine grundsätzliche Wertschätzung des karitativen Engagements – auch dort, wo es nicht hauptberuflich organisiert sei.