Pflegekräfte aus Osteuropa: Hier ausgenutzt, zu Hause entbehrt
Zur Renovabis-Pfingstaktion: Podium mit Caritas-Repräsentanten
Die Bevölkerung Rumäniens hat seit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ von 23 auf 19 Millionen abgenommen – durch Arbeitsmigration in andere europäische Länder. Von denen, die geblieben sind, pendelt jeder Fünfte zur Arbeit ins Ausland, legt man nur diejenigen im arbeitsfähigen Alter zugrunde, ist es jeder Dritte. Bei 536.000 Kindern befindet sich mindestens ein Elternteil im Ausland, viele leben ganz ohne die Eltern meist bei Verwandten. 225.000 schulfähige Kinder sind nicht eingeschult.
Diese Zahlen trug Dr. András Márton bei einer Podiumsdiskussion gestern Abend im Bistumshaus St. Otto in Bamberg vor. Renovabis, das Hilfswerk der deutschen katholischen Kirche für Osteuropa, hat das Problem der Arbeitsmigration als Thema seiner diesjährigen Pfingstaktion gewählt. Die Veranstaltung von Diözesanreferat Weltkirche, Katholischer Erwachsenenbildung, und Betriebsseelsorge fokussierte es auf die Pflege.
Der Caritasdirektor von Alba Iulia hat selbst Pflegeangebote in seiner Heimat aufgebaut. Er weiß aber auch, dass dort nur 4 Prozent der Über-65-Jährigen professionelle ambulante Pflege erhalten, während es im europäischen Durchschnitt 24 Prozent sind. Die meisten Pflegebedürftigen werden allein von Angehörigen versorgt. Obwohl die Caritas in Rumänien der größte Wohlfahrtsverband ist, hat sie nur 1.200 hauptberufliche Mitarbeiter.
Ausbeuterische Arbeitsverhältnisse
Was die Arbeitsmigranten in Deutschland erwartet, berichtete Marius Hanganu. Er arbeitet in Nürnberg bei „Faire Mobilität“, einem bundesweiten Netzwerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes, das Beschäftigte aus Ost- und Mitteleuropa berät. Hanganu schilderte Fälle aus der Pflege, in denen Menschen, die etwa in Rumänien angeworben wurden, eine – rechtlich gar nicht zulässige – 24-Stunden-Pflege in Privathaushalten leisten – als Aushilfe oder Minijobber, jedenfalls im Niedriglohnsektor mit nominell nur wenigen Wochenarbeitsstunden. Die Vermittlerbranche – so der selbst aus Rumänien gebürtige Berater – sei von „mafiösen Strukturen“ durchzogen. Auf alle Fälle gehe es immer um Profit.
Bewusst gegen die Hilfe von Vermittlungsagenturen hat sich die Caritas gGmbH St. Heinrich und Kunigunde entschieden, die im Erzbistum Bamberg u.a. 14 Pflegeheime betreibt. Trotzdem hat sie Beschäftigte mit 59 verschiedenen Nationalitäten. 16 Prozent der Belegschaft habe keine deutsche Staatsangehörigkeit, nimmt man die Eingebürgerten hinzu, komme man auf ein Drittel Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Dies sei aber nicht Ergebnis gezielter Werbung, sondern Folge der Freizügigkeit in der Europäischen Union, betonte Geschäftsführerin Friederike Müller. „Die Menschen bleiben bei uns, wenn sie vor Ort eine Community ihres Heimatlandes vorfinden.“
Bambergs Diözesan-Caritasdirektor Michael Endres bestätigte, dass es keine Strategie gebe, und erzählte von verschiedenen „Wellen“: grundsätzlich viele Mitarbeiter aus Osteuropa, vor der Corona-Pandemie junge Menschen aus Spanien und Portugal, gegenwärtig aus Nordafrika und als neuesten Trend junge Asylbewerber ohne Bleiberecht. Endres beklagte in diesem Zusammenhang die Hürden des Asylrechts und forderte ein unbürokratisches und zielführendes Einwanderungssystem, das motivierten Menschen einen Einsatz in der Pflege ermöglicht – gleich ob in Ausbildung oder Beschäftigung. Außerdem benötigten die Zuwanderer Wohnungen. Der Diözesan-Caritasverband führe dazu Gespräche mit dem kirchlichen Wohnungsunternehmen Joseph-Stiftung.
Materielle Hilfe für die Heimat wird überschätzt
Ein Beispiel gelungener Integration ist Daliborka Balac. Sie kam 1994 aus Serbien, allerdings nicht um Arbeit zu finden, sondern durch ihren Mann. Fünf Jahre musste sie auf eine Arbeitserlaubnis warten. Heute ist sie Pflegedienstleiterin im Dr.-Robert-Pfleger-Rehabilitations- und Altenpflegezentrum der Caritas in Bamberg und Ansprechpartnerin für ausländische Arbeitskräfte. Diese hätten oft falsche Vorstellungen über das Leben in Deutschland. So bleibe etwa nach Abzug der Kosten von Miete, Strom, Heizung und Lebensführung vom Lohn weit weniger übrig zur Unterstützung der Heimat, als die Familie dort erwarte.
Auch Caritasdirektor András Márton widersprach der Vorstellung, die Arbeitsmigranten trügen entscheidend zum Wohlstand im Herkunftsland bei. So hätten sich die Überweisungen von Rumänen aus dem Ausland seit 2011 von 6 auf knapp über 3 Millionen Euro jährlich halbiert. 27.000 rumänische Ärzte befänden sich im Ausland, die Ausbildung eines jeden einzelnen von ihnen habe mindestens 30.000 Euro gekostet. Am Ende also ein Nullsummenspiel.
Kann es Win-Win-Modelle geben?
Friederike Müller bekannte denn auch: „Wir machen uns zu wenig Gedanken, welche Auswirkungen die Arbeitsmigration im Herkunftsland bewirkt.“ „Gibt es Modelle, sie in der Pflege erfolgreich für beide Seiten zu gestalten?“, wollte daher Moderator Michael Kleiner vom Referat Weltkirche wissen. Márton berichtete von einer Kooperation mit der Caritas in der Schweiz. Zweimal im Jahr können Pflegekräfte seiner Caritas dort arbeiten, müssen sich aber verpflichten, den Rest des Jahres in der Heimat tätig zu sein.
Dass dies flächendeckend eine Lösung sei, wurde jedoch einhellig bezweifelt. Hanganu kritisierte: „Unser Wohlstand basiert auf dem Rücken der Ärmsten.“ In der Pflege werde sich nichts ändern, wenn der Druck nicht aus der Bevölkerung käme und diese bereit sei, deutlich mehr in die Pflegeversicherung einzubezahlen. Endres dagegen sieht diese „Teilkaskoversicherung mit Unterdeckung“ als gescheitert an. Der Staat müsse die Pflege ausreichend finanzieren.
Doch Geld allein hilft auch nicht. „Allein die Caritas benötigt in den kommenden Jahren 200.000 Pflegekräfte, um die in Rente gehenden Kollegen zu ersetzen“, betonte Friederike Müller. Diese Lücke könne auch Zuzug aus dem Ausland nicht ausgleichen. Gefragt seien neue Modelle der Pflege, bei denen die Versorgung nicht allein von hauptberuflichen Pflegekräften abhänge.